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De-Facto-Regime
Ein De-facto-Regime (auch in der Schreibweise de facto-Regime) – mit einer allgemeinen oder nur lokalen De-facto-Regierung –, manchmal wird auch der Ausdruck nichtanerkannter Staat oder – vor allem im politikwissenschaftlichen Schrifttum – De-facto-Staat gebraucht, ist eine maßgeblich von dem deutschen Rechtswissenschaftler Jochen Abraham Frowein geprägte Rechtsfigur. Damit wird vorwiegend in der deutschen Rechts und Politikwissenschaft ein Herrschaftsverband bezeichnet, der durch die de facto bestehende und dauerhafte hoheitsförmige Gewalt einer aufständischen Gruppe oder Partei einen bestimmten, dem eines international anerkannten Staates gleichkommenden Grad an Stabilität erreicht hat, ohne jedoch in dieser Eigenschaft als Staat anerkannt zu sein, bzw. dem eine solche Anerkennung weitgehend verweigert wird. Dies betrifft nicht nur Gebilde, die selbst den Anspruch erheben, ein Staat zu sein (etwa im Falle einer Sezession), sondern auch Regime, welche die effektive Herrschaft über ein Teilgebiet eines Staates ausüben, dessen (gesamte) Gewalt sie zu übernehmen anstreben. Die amerikanische und englische Lehre lehnt dieses Konstrukt zum Teil ab.
Anerkennung und Aufnahme diplomatischer Beziehungen
Verschiedentlich wird angeführt, die Anerkennung eines stabilisierten oder befriedeten De-facto-Regimes als Staat bedeute eine unzulässige Einmischung in die Angelegenheiten des Staates (des „Mutterstaates“), auf dessen bisher anerkanntem Gebiet sich das De-facto-Regime befindet. Dagegen wird eingewandt, dass sich das Staatswesen dieses Staates gar nicht mehr auf das Gebiet des anzuerkennenden Staates erstrecke.
Die de-jure-Anerkennung eines De-facto-Regimes ist keine Voraussetzung für seine Staatlichkeit, sondern eine einseitige völkerrechtliche Willenserklärung des anerkennenden Staates gegenüber dem anzuerkennenden Staat, fortan mit ihm normale diplomatische Beziehungen zu pflegen. Das Fehlen der Anerkennung berührt folglich nicht dessen völkerrechtlichen Status als Staat – gleichwohl genügt das De-facto-Regime „nicht vollumfänglich den an einen Staat gestellten Anforderungen“, denn die Staatlichkeit des Herrschaftsverbandes ist aus politischen Gründen umstritten –, sondern bedeutet bei Vorliegen der objektiven Staatsmerkmale allein eine faktische Einschränkung seiner außenpolitischen Handlungsspielräume. De-facto-Regime stehen aber „nicht in einem völkerrechtsfreien Raum“, in der Staatenpraxis werden sie als „beschränkt rechtsfähige Völkerrechtssubjekte“ behandelt.
Trotz ihres ungewissen Staatlichkeitscharakters ist auch die Gebietshoheit eines De-facto-Regimes durch das Gewaltandrohungs- und -anwendungsverbot im Völkerrecht geschützt.
Ist die Regierungsgewalt zwar effektiv, aber im Wesentlichen nicht beständig, dann kann man bei diesen (in ihrer Hoheitsgewalt beschränkten) Verwaltungseinheiten – „je nach dem Grad ihrer inneren politischen Stabilität“ – von instabilen De-facto-Regimen sprechen.
Kollektive Nichtanerkennung in der Staatenpraxis aus Opportunitätsgründen
Es besteht in der Staatenpraxis keine Pflicht zur Anerkennung, nicht zuletzt auch deswegen, da sonst dem De-facto-Regime automatisch ein Recht auf Anerkennung zugestanden werden müsste. Gründe für die Nichtanerkennung (eines Staats) sind zumeist politischer oder wirtschaftlicher Natur. So führt beispielsweise die weltweit überwiegend akzeptierte Ein-China-Politik der Volksrepublik China dazu, dass der Repräsentant des Völkerrechtssubjekts China 1971 wechselte und der Republik China (Nationalchina) die Anerkennung seit 1972 entzogen wurde. Nach der UN-Resolution 2758 handelte es sich hierbei jedoch nicht um einen Ausschluss aus den Vereinten Nationen, sondern um eine Umsetzung des veränderten Verständnisses von der Vertretung des Gründungsmitglieds China in der Weltorganisation: Diese Vertretung erfolgte fortan nicht mehr durch die Regierung in Taipeh, sondern durch die Regierung in Peking. Der Status Taiwans ist bis heute ungeklärt und spiegelt sich im Taiwan-Konflikt wider.
Von einer statusverhindernden Wirkung kann bei der Nichtanerkennung durch die Staatengemeinschaft aber nicht ausgegangen werden. Dies zeigt auch das Beispiel der Republik China (Taiwan), deren überwiegende internationale Nichtanerkennung den Wirtschaftsbeziehungen und dem eigenen überproportionalen Außenhandelsvolumen nicht entgegensteht.
Beispiele für De-facto-Regime
Folgende Herrschaftsverbände werden verschiedentlich als Beispiele für De-facto-Regime genannt:
- Abchasien und Südossetien werden von den Vereinten Nationen als Teil Georgiens betrachtet und nur von Russland, Nicaragua, Venezuela, Nauru und Syrien als unabhängig anerkannt.
- Kosovo wird mittlerweile von 114 Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen offiziell anerkannt, nicht aber vom bisherigen Mutterland Serbien. Die Vereinten Nationen betrachten das Kosovo weiterhin als Teil Serbiens, der Internationale Gerichtshof (IGH) gelangte zu dem Ergebnis, dass die Unabhängigkeitserklärung des Kosovo nicht gegen das Völkerrecht verstoßen habe. Gleichzeitig vermied der IGH, dessen völkerrechtlichen Status zu bewerten.
- Die Türkische Republik Nordzypern wird von den Vereinten Nationen als Teil der Republik Zypern betrachtet und nur von der Türkei als unabhängig anerkannt.
- Transnistrien erklärte 1991 seine Unabhängigkeit von Moldawien, die von keinem Staat anerkannt wird, auch wenn Russland das Regime unterstützt.
- Somaliland spaltete sich 1991 faktisch von Somalia ab, als es nach dem Sturz von Siad Barre praktisch keine somalische Zentralregierung mehr gab (→ failed state). 1998 erklärte sich das östlich an Somaliland angrenzende Puntland ebenfalls für unabhängig von Somalia. Beide De-facto-Staaten streiten untereinander über den Grenzverlauf.
- Republik Arzach (Berg-Karabach), die unter anderem vom UN-Sicherheitsrat und Europarat weiterhin als Bestandteil Aserbaidschans betrachtet wird.
Siehe auch
Weblinks
Quellen
Bildernachweis